Das Ensemble

Die Einzigartigkeit eines authentisch erhaltenen Zeitzeugnisses des Landjudentums

Synagoge und Jüdische Schule, Mikwe und Friedhof – an keinem anderen Ort Mitteldeutschlands hat sich ein vergleichbares, kultur- und zeitgeschichtlich wertvolles Zeugnis des Landjudentums erhalten. Wie eng verwoben die jüdisch-christliche Nachbarschaft im Ort war, ist noch heute gut zu erkennen: Synagoge und Schule wurden im dafür veräußerten Obstgarten eines Bauerngehöftes errichtet, dessen Eigentümer den Jüdinnen und Juden seines Dorfes zudem ein Wegerecht über sein Anwesen gewährte.

Die Abwanderung jüdischer EinwohnerInnen in die Städte hatte seit Ende des 19. Jahrhunderts die Gemeinde kleiner werden lassen. Bereits 1898 wurde die Jüdische Schule wegen schwindender SchülerInnenzahlen an die politische Gemeinde verkauft, 1939 – unter dem Druck der politischen Verhältnisse – schließlich auch die Synagoge. Letztlich bewahrte sie dieser Umstand vor Brandstiftung und Zerstörung in der Zeit der NS-Herrschaft, wenn auch nicht vor einer denkmalschädigenden Nutzung als Werkstatt- und Lagergebäude in den darauf folgenden Jahren.

Es ist der engagierten Arbeit von DenkmalpflegerInnen des Landkreises, der Gemeinde Grabfeld und des Freistaats Thüringen zu verdanken, dass das Ensemble unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung liebevoll und aufwändig restauriert und damit das Potential für eine zeitgemäße, kulturelle Nutzung neu erschlossen wurde.

Ein Rundweg zur jüdischen Geschichte Berkachs

Im Rahmen des 160. Jubiläums der Einweihung der Synagoge wurde 2014 von unserem Verein mit Unterstützung der Gemeinde Grabfeld ein Rundweg zu den historischen Stätten jüdischen Lebens im Ort eingerichtet. Dieser ist sowohl mit Hinweisschildern illustriert als auch zusätzlich in Form einer Rudweg-Karte für BesucherInnen des Ortes erläutert. Dem Rundweg liegt eine historische Flurkarte aus dem Jahr 1890 zugrunde. Auf dieser sind die damals von jüdischen Familien bewohnten Höfe sowie die Standorte von Synagoge, Jüdischer Schule, Mikwe und Friedhof eingetragen. Der gesamte Rundweg hat eine Länge von ca. 3km.

Bild: Historischer Wegeverlauf zwischen Mikwe und Synagoge

Die Bausteine des Ensembles: Synagoge und Jüdische Schule mit angrenzendem, denkmalgeschützten Vierseithof, Mikwe und Friedhof

 

Die Synagoge ...

zunächst – in den ersten Jahren jüdischen Lebens in Berkach – eine „alte Synagoge“, wohl nur ein Gebetssaal, gemeinsam mit einer ersten Schule im sogenannten Bibraischen Hof (einem Anwesen der Freiherren von Stein)… dann – Mitte des 19. Jahrhunderts – die bisherigen Behelfe längst baufällig geworden – Ankauf eines Bauplatzes für 500 Gulden (ein bisheriger Obstgarten eines wohlgesonnenen Berkacher Bauern)… am 1.6.1854 die feierliche Einweihung sowohl der Synagoge als auch des Gegenübers – der neuen Jüdischen Schule… Jahrzehnte des Gebets, des Gesangs, des gemeinsamen Feierns der jüdischen Festtage – die Männer im Saal, die Mädchen und Frauen auf ihrer eigenen Empore… stolze sechs Torahrollen stehen im Torahschrein… allmähliches Abebben des jüdischen Lebens, die Gemeinde wird kleiner und kleiner… im Novemberprogrom 1938 bleibt die Synagoge unzerstört – v.a. Dank engagierter Berkacher BürgerInnen und aufgrund der Angst, ein Brand könnte auf die nahe Höfe übergreifen… 1939 Verkauf des Gebäudes an die politische Gemeinde Berkach, Abschiede und Flucht im Angesicht des wachsenden Terrors… Jahre und Jahrzehnte zunehmenden Vergessens, genutzt als Lagerraum und Schmiede… 1990 und 1991 Rückübertragung der Synagoge an die Jüdische Landesgemeinde Thüringen und Restaurierung durch den Architekten Steffen Wilting und HandwerkerInnen der Region… 3.11.1991 erneute Weihung durch den hessischen Landesrabbiner Chaim Lipschitz unter Beisein der Bundestags-Präsidentin Tita Süßmuth und vieler weiterer Gäste… seitdem immer wieder Besuch durch die NachfahrInnen früherer Berkacher Jüdinnen und Juden und kulturinteressierte Reisende – mal ein Konzert, mal ein Vortrag und doch noch immer viele Tage der Stille… 1.6.2014 – der Einladung zum 160-jährigen Jubiläum der Einweihung der Synagoge folgen Hunderte Menschen aus dem Dorf und der Region, Mitglieder der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen und PolitikerInnen aus dem Freistaat Thüringen, NachfahrInnen emigrierter JüdInnen bringen für den Festtag die einzige gerettete Torahrolle Berkachs in ihre heimatliche Synagoge zurück – ein Tag voller Lachen und Weinen – Vorgeschmack auf eine künftige Wiederbelebung des Ensembles... 4.11.2018 Eröffnungsveranstaltung der Thüringer Tage der jüdisch-israelischen Kultur durch den Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow mit einem Konzert der jüdischen MusikerInnen Sveta Kundish und Patrick Farrell

Bild: Innenraum der Synagoge mit Blick von der Empore auf Altar

Die Jüdische Schule …

gemeinsam mit der Synagoge am 1.6.1854 eingeweiht – ein großer Schulraum für mehr als 40 Kinder im Erdgeschoss, im Obergeschoss die Wohnung für den Lehrer und seine Familie… zwei davon namentlich überliefert: der Lehrer, Kantor und Herausgeber Hermann Ehrlich und sein Nachfolger Georg Holländer… 1898 – die Zahl der jüdischen SchülerInnen ist auf 14 geschrumpft, die Schule vereinigt sich mit der Ortsschule von Berkach und das Gebäude geht in das Eigentum der bürgerlichen Gemeinde über… bis 1921 besuchen SchülerInnen des Dorfes die sogenannte „kleine Schule“… nach 1945 Nutzung als Kommandatur für die Sowjet-Armee, später durch die LPG des Ortes… Mai 1993 Verkauf des Hauses an private EigentümerInnen… August 2007 Erwerb durch unseren Verein mit dem Ziel einer künftigen inhaltlichen Zusammenführung mit der Synagoge und der Bildung eines kulturhistorischen Ensembles mit dem unmittelbar angrenzenden, denkmalgeschützten Vierseithof…

Bild: ehemalige jüdische Schule in unmittelbarer Nachbarschaft zur Synagoge

Der angrenzende, denkmalgeschützte Vierseithof …

erzählt von der engen jüdisch-christlichen Nachbarschaft im Dorf, denn aus seinem Obstgarten wurde einst der Bauplatz für Synagoge und Jüdische Schule… seit vielen Jahren steht der Hof leer, gehört wie das Schulgebäude zum Besitz unseres Vereins und wird in ehrenamtlicher Arbeit vor dem Verfall gerettet… Hinterland für eine künftige öffentliche Nutzung des Jüdischen Ensembles - vielleicht einmal Wohnsitz für die, welche das Projekt vor Ort weiter voran bringen wollen?

Bild: Luftbild vom denkmalgeschützten Vierseithof

Das Wohnstallhaus

Das Wohnstallhaus von 1670 - ein zweigeschossiges Fachwerkhaus mit einem Gewölbekeller unter der Stube, einem nördlichen Schaugiebel mit Schmuckfachwerk im hennebergischen Stil und einer Stube auf der südlichen Rückseite des Hauses… zum Hof hin hat das Haus eine eingezogene Laube im Obergeschoss, ein Motiv, dass sich noch öfter an Bauernhäusern in Südthüringen findet…

Bild: Das Wohnstallhaus

Die Scheune

Die Scheune von 1692 – ein dreizoniger Fachwerkbau mit hohem Sparrendach… die Tenne wird ursprünglich durch das Scheunentor vom Hof her erschlossen… im 19. Jahrhundert brach man an der Rückseite der Scheune zum Garten ein zweites Tor ein, um mit den Wagen durch die Scheune fahren zu können… um 1948 wird die Scheune nach Westen verlängert - dieser Anbau dient als Remise für Wagen …

Bild: Die Scheune

Austraghaus

Das als „Schopfe“ oder „Austraghaus“ bezeichnete Nebengebäude wurde nach einer Inschrift im Fachwerk 1791 errichtet… in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts baut man das Nebengebäude zu einem kleinen Wohnhaus mit Stube und Küche um… über der Küche ist der Ziegelkamin eines offenen Herdfeuers oder Kochofens erhalten… bei Erwerb durch unseren Verein schwer baufällig, wird mit Hilfe einer Spende des damaligen Vereins-Vorsitzenden Singh Khalsa und mit Unterstützung der Denkmalbehörden das Gebäude vor dem sicheren Verfall gerettet, sein Fundament, Fachwerk und Dach erneuert bzw. restauriert und damit eine künftige Nutzung als Wohngebäude vorbereitet…

Bild: Austragshaus nach der Sanierung des Fachwerks

 

 

 

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