Geschichte

Bild: ehemaliger Gutshof Berkachs in Nachbarschaft zur Kirche - hier war der erste Ort der Ansiedlung jüdischer Familien in Berkach

Die Anfänge des Landjudentums in der Region Grabfeld

Im Mittelalter haben sich Juden fast ausschließlich in den Städten angesiedelt. Seither sind sie immer wieder vertrieben worden oder sind Pogromen zum Opfer gefallen. Im 16. Jahrhundert wurden sie dauerhaft aus den größeren Territorien unserer Region, dem Kurfürstentum (Herzogtum) Sachsen mit Eisenach, Coburg und Römhild, der Grafschaft Henneberg, dem Hochstift Würzburg vertrieben. Eine Ausnahme bildete die Landgrafschaft Hessen (Schmalkalden). Einige der niederadligen Familien, die sich der damals entstehenden Reichsritterschaft anschlossen, haben die Möglichkeit erkannt, die vertriebenen Jüdinnen und Juden gegen Zahlung von Gebühren (Schutzgeldern) in ihren Dörfern anzusiedeln. So entstand das fränkische Landjudentum. Die Jüdinnen und Juden lebten zunächst auf den Herrenhöfen und konnten sich hier eigene Gebetsräume einrichten. Später siedelten sich die jüdischen Familien gemeinsam in einem jüdischen Ortsteil Berkachs (im Bereich des Zehnthofes und des Hinterdorfes). Sie konnten jedoch die Ortseinrichtungen wie Brunnen, Wege, Backhaus gemeinsam mit den ChristInnen benutzen. Die jüdischen Familien lebten zunächst ausschließlich vom Handel mit Vieh und Waren (insbesondere Schnittwaren, Textilwaren, Wolle). 1762 werden erstmals jüdische Händler aus Berkach bei der Leipziger Messe genannt und 1808 bereits 19 jüdische Familien am Ort gezählt.

1854: Der Höhepunkt jüdischen Lebens in Berkach

    Im Zuge der bürgerlichen Freiheitsbewegung erhielten die Jüdinnen und Juden seit Beginn des 19. Jahrhunderts mehr Rechte. Sie konnten Häuser in den Dörfern kaufen, neue Berufe erlernen und Universitäten besuchen. In vielen Dörfern errichteten sie eigene Synagogen, Schulhäuser und Mikwen. So erblühte das jüdische Leben in der Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Berkach. Höhepunkte waren die Anlage des eigenen Friedhofs außerhalb des Dorfes um 1825, der Bau der Mikwe 1838 und die feierliche Einweihung der neu errichteten Synagoge und des Jüdischen Schulhauses im Jahr 1854. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet (für rituelle Schlachtungen) tätig war. Bekanntester Lehrer war Hermann Ehrlich (1815-1879), der ab 1845 in Berkach als Kantor, Lehrer und Zeitungsherausgeber wirkte (siehe Bericht unten). 1833 wurden 152 jüdische Gemeindeglieder (immerhin ein Drittel von 460 EinwohnerInnen!) gezählt, 1851 waren es 170 in 36 Familien.

    Bild: historische Flurkarte von 1890 mit Markierung der ehemals von JüdInnen bewohnten Höfe sowie von Synagoge, Jüdischer Schule, Mikwe und Friedhof Die neuen bürgerlichen Rechte mit den damit verbundenen Möglichkeiten führten ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch zu einer Abwanderung vieler Jüdinnen und Juden aus den Dörfern in die Städte. Schon bald gab es nicht mehr genug Kinder für die jüdischen Schulen, so dass die Gebäude verkauft wurden. Die weitere Abnahme der jüdischen Bevölkerung führte im 20. Jahrhundert zum Verkauf einiger Schulen und Synagogen – so auch in Berkach.

    Die Auslöschung jüdischen Lebens in Berkach

      Nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus 1933 litten im gesamten Deutschen Reich und so auch in Berkach die Jüdinnen und Juden unter zunehmenden Restriktionen und unter dem Verlust ihrer bürgerlichen Rechte. Landesweit begann die systematische Ausgrenzung, Beraubung und schließlich die Ermordung der jüdischen BürgerInnen. Nur etwa die Hälfte von ihnen - ca. 250.000 - konnte durch rechtzeitige Auswanderung dem Völkermord entgehen. Zu ihnen gehörte auch der Berkacher Lothar Goldschmidt, welcher eine der Torah-Rollen der Berkacher Synagoge auf seine Flucht in die U.S.A. mitnahm. Im Zusammenhang mit dem Novemberprogrom 1938 wurden neun Berkacher jüdische Männer in das KZ Buchenwald verschleppt. 1942 wurden die letzten jüdischen BürgerInnen aus Berkach in Vernichtungslager deportiert und später ermordet. Damit endete die Geschichte der jüdischen Gemeinden in den Dörfern des Grabfeldes und auch in Berkach. Geblieben sind die Erinnerungen der alten BerkacherInnen an ihre einstigen jüdischen MitbürgerInnen und die steinernen Zeugen ihrer Gebäude und Grabstätten.

      Bild: Gedenktafel zur Erinnerung an die deportierten Berkacher Jüdinnen und Juden

      Ein mutiger Neubeginn und ein weiter Horizont

        1989/90 begann auf Initiative der Denkmalbehörde und in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Landesgemeinde Thüringens die Restaurierung der jüdischen Kulturstätten in Berkach. Unter Leitung der Denkmalpflege Meiningen wurde die Synagoge von Grund auf erneuert. Am 3. November 1991 wurde das Gebäude von Landesrabbiner Chaim Litschitz (Hessen) unter Besein weiterer jüdischer, christlicher sowie politischer Repräsentantinnen und angereister ehemaliger Berkacher Jüdinnen wieder als Synagoge eingeweiht. Bundespräsidentin Prof. Rita Süßmuth lobte damals die Initiative für ihren Mut, das kulturelle Erbe zum Ausgangspunkt eines Neubeginns zu machen.

        Bild: Neu-Einweihung der Berkacher Synagoge am 3.11.1991 (Zeitungs-Ausschnittweb

        2006 gründete sich unter dem Vorsitz des irischen Staatsbürgers Singh Khalsa der Grabfelder Bildungs- und Begegnungsstätte Berkach e.V. (heute: Jüdisches Ensemble Berkach e.V.), welcher Eigentümer der Jüdischen Schule sowie des unmittelbar angrenzenden, denkmalgeschützten Bauernhofes in der Nachbarschaft wurde. Letzteren verstehen wir als Teil des Ensembles, da er beispielhaft die unmittelbare Nähe des christlich-jüdischen Zusammenlebens illustriert. Gemeinsam mit der Gemeinde Grabfeld, dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen, der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen und verschiedenen Institutionen und interessierten Menschen der Region sowie unterstützt durch Mitarbeiterinnen der Staatskanzlei des Freistaates Thüringen arbeitet unser Verein daran, diesen geschichtsträchtigen, beredten Ort wieder mit Leben zu erfüllen. Wir wollen ihn einerseits als Zeugnis der einst guten Nachbarschaft und des Miteinanders von jüdischen und nichtjüdischen Deutschen in Berkach erhalten und andererseits einer zeitgemäßen Nutzung als Kultur- und Begegnungsstätte mit überregionaler Ausstrahlungskraft zuführen.

        Der vorläufige Höhepunkt: Feier des 160. Jubiläum der Einweihung der Synagoge am 1. Juni 2014

           „Wenn Schüler von heute eine Episode aus der längst vergangenen jüdischen Geschichte ihrer Heimat nacherzählen, wenn eine Sopranistin in einer Kirche mit den Gemeindemitgliedern jüdische Lieder singt und dabei Zeile für Zeile immer wieder mit ihnen durchgeht, fast so, als müsse man diese Sprache wieder neu kennen- und schätzen lernen und wenn eine jüdische Familie extra aus Halle an der Saale anreist, um das Grab des Urgroßvaters zu sehen, obwohl ihr Lebensmittelpunkt seit geraumer Zeit ganz woanders liegt, dann wurde am vergangenen Sonntag tatsächlich ein Kreis, der vor Jahrzehnten so rabiat aufgebrochen wurde, wieder geschlossen. Dem Fest zum Jubiläum der Einweihung der Berkacher Synagoge ist genau dies gelungen..." (Auszug aus einem Artikel von Karsten Tischer in: www.insuedthueringen.de vom 05.06.2014)

          An jenem 1. Juni 2014 hat sich exemplarisch vieles von dem verwirklicht, was wir uns für die künftige Nutzung des Jüdischen Ensembles in Berkach wünschen: alte BerkacherInnen erinnern sich an die Zeit, als aus KlassenkameradInnen „Feinde“ wurden... ChristInnen und JüdInnen vereinen sich in Gebet, Gedenken und Gesang... die einst vor dem Holocaust gerettete Torah-Rolle kehrt für einen Moment an ihren historischen Platz zurück... aus dem Ausland angereiste jüdische Gäste besuchen die Heimat ihrer VorfahrInnen und finden Kontakt zur heutigen Bevölkerung Berkachs... ein neu eingeweihter Rundweg mit Begleitkarte illustriert die jüdische Geschichte des Ortes... Jugendliche der Region finden ihr eigenes Geschichtsverhältnis, die PolitikerInnen werden sich ihrer Verantwortung bewusst und die EinwohnerInnen Berkachs helfen aufopferungsvoll bei der Bewirtung der zahlreichen Gäste... Festgehalten wurden die Ereignisse des Tages in den Dokumentar-Aufnahmen des Gothaer Film-Regisseurs Anton Lysakovski. Für einen Tag war in Berkach das Jüdische Ensemble ein Ort für Bewusstwerdung, Austausch, Geschichtsaufarbeitung, Begegnung, Kultur und neue Freundschaften. Darin, solch eine Atmosphäre nicht zur Ausnahmeerscheinung, sondern zum regelmäßigen Bestandteil des Berkacher Jüdischen Ensembles zu machen, sehen wir unsere Aufgabe.

          Bild: Jubiläums-Feier anlässlich des 160. Jahrestages der Einweihung der Synagoge und der Jüdischen Schule(
           

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